[:de]Geschichte vor der Haustür & die Erbschuld[:en]History on the doorstep & the original guilt[:]


[:de] Eifgenbach-Talsperre

Heute habe ich nach langer Zeit mal wieder die alte Talsperre am Eifgenbach besucht, die nur wenige Kilometer von hier entfernt im Wald liegt. Sie wurde 1906 gebaut und diente, soweit ich weiß, einem großen Teil von Burscheid für viele Jahre als Trinkwasserlieferant. Es ist bestimmt schon fast zehn Jahre her, daß ich zum letzten mal dort war. Damals war ich auf einem umgestürzten Baum über den Bach ans andere Ufer balanciert und hatte zu meiner großen Überraschung ein Hakenkreuz aus kleinen weißen Kieseln entdeckt, die in den Beton des Wehrs eingesetzt waren. Ich war begeistert, ein kleines Stückchen Geschichte quasi direkt vor meiner Haustür gefunden zu haben.

Für Erkennungshilfe mit der Maus über das Bild fahren

Doch als ich heute dort ankam, mußte ich enttäuscht feststellen, daß irgend jemand meine Begeisterung wohl nicht teilte: offensichtlich hatte man versucht, das Hakenkreuz mit einem Meißel zu entfernen oder zumindest unkenntlich zu machen. So etwas kann ich nicht verstehen. Ganz gleich, welche negativen Assoziationen man mit diesem Zeichen auch immer verbinden mag – es bleibt dennoch nichts weiter als ein Zeichen. Die Leute tun ja immer geradezu so als wäre das Symbol des Hakenkreuzes vor hundert Jahren mit irgendeiner bösen magischen Energie aufgeladen worden, mit der es uns jederzeit wieder in seinen schrecklichen Bann ziehen könnte, wenn man es nicht schnell genug entfernt.


[:en] Eifgen creek dam

Today I visited the old dam on the Eifgen creek, which is located only few kilometers from here in the forest. It was built in 1906, and as far as I know, it had served a great part of Burscheid as drinking water supply for many years. The last time I was there was already ten years ago. I had balanced over a fallen down tree to the other riverbank then, and to my big surprise discovered a swastika made of small white pebbles that were put into the concrete of the barrage. I was excited about having discovered a small piece of history right on my doorstep.

Mouseover for recognition aid

But when I came there today, I was very disappointed to find that apparently someone did not share my enthusiasm: Obviously he had tried to remove the swastika or at least make it irrecognizable with a chisel. I can’t understand such a thing. No matter what negative connotations one may associate with that sign – it still remains nothing more than a sign. People virtually act as if the symbol of the swastika had been charged with some kind of evil magical energy a hundred years ago and as if it could cast its dreadful spell on us again at any time, if we don’t remove it fast enough.


[:][:de] Zerstörtes Hakenkreuz an der Talsperre

Nun, wenn heutzutage Rechtsradikale mit Spraydosen Hakenkreuze an die Wände schmieren, dann ist das natürlich etwas anderes, aber hierbei handelt es sich immerhin um ein Stück Geschichte, um einen kleinen neuzeitarchäologischen Schatz. Es liegt nun einmal in der Natur der Sache, daß Bauten aus der Zeit des Nationalsozialismus hin und wieder auch mit entsprechenden Symbolen versehen sind – aber muß das denn gleich in einen Scheideweg zwischen Moral und historischem Interesse münden? Nur weil wir ein geschichtsträchtiges Symbol an einem Bauwerk nicht entfernen, bedeutet das doch nicht automatisch unsere Zustimmung zum Nationalsozialismus.

Wir Deutschen leben, was dieses Thema betrifft, mit einer völlig übertriebenen Moralität und wohl auch Angst vor Wiederholung. Diese Angst wird auch von offizieller Seite her geschürt: Ständig wird uns eingeredet, daß wir als Deutsche eine historische Schuld tragen, beinahe so etwas wie die Erbsünde. Ein Beispiel: Joschka Fischers Rede auf der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen.:“Rede auf der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen am 17. April 2005(Joschka Fischer)“:http://www.bundesregierung.de/nn_1514/Content/DE/Bulletin/2001__2005/2005/04/2005-04-17-rede-des-bundesministers-des-auswaertigen-joschka-fischer-auf-der-gedenkfeier-zum-60-ja.html Darin heißt es:

Mit dem Menschheitsverbrechen der Shoa bleibt der Name unseres Landes für immer verbunden. Wir Deutsche können, dürfen und werden uns dieser Verantwortung niemals entziehen.

(…)

Das schulden wir Ihnen und Ihrem Leid und das schulden wir den Toten und ihrer Erinnerung.

Um es mal ganz klar auszudrücken: Dadurch, daß ich im Jahr 1982 in Leverkusen (und nicht 100 km weiter westlich in Holland oder Belgien) zur Welt gekommen bin, habe ich automatisch eine Teilschuld an einem 50 Jahre vor meiner Geburt geschehenen Massenmord auf mich geladen. Wie dreist mußten meine Eltern eigentlich sein, mich mit diesem Wissen noch in ein weißes Taufkleid zu stecken? Aber Spaß beiseite. Ich fühle mich, wie viele junge Deutsche, an dieser Stelle ein bißchen verarscht. Damit man mich nicht falsch versteht: Ich bin durchaus der Meinung, daß man weiterhin Erinnerungs- sowie Aufklärungsarbeit leisten sollte. Selbstverständlich sollten wir für das Thema sensibilisiert bleiben, aber alles hat seine Grenzen – man kann unmöglich von uns erwarten, uns für Dinge zu verantworten, die unsere Großeltern oder sogar Urgroßeltern getan haben. Die einzige Verantwortung, die man jungen Deutschen aufbürden kann, ist die, einer Wiederholung des Geschehenen in Zukunft vorzubeugen.

Die allgemeine Übervorsicht und Übersensibilisierung für das Thema Nationalsozialismus ist, wie Harald Martenstein es einmal treffend bezeichnete, „eine deutsche Neurose (…), die Theorie, daß in uns allen eine Nazibestie steckt, die bei jeder Gelegenheit rauskommen kann, wenn man irgendwas liest oder irgendetwas druckt oder sich über irgendetwas informiert.“:“Die Nazibestie in uns allen?(Harald Martenstein)“:http://www.zeit.de/video/player?videoID=20071112b45198 Und genauso dachte offenbar der Hakenkreuz-Wegmeißler vom Eifgenbach. Schade.

Räderwerk der Schleuse

Wobei die Zukunft der Talsperre momentan sowieso in der Schwebe hängt: Bereits seit 2000 wird aus ökologischen Gründen die Schleifung des Bauwerks geplant, u. a. weil der Stauraum inzwischen längst versumpft ist und die Fischtreppe, die Fischen weiterhin das Wandern stomaufwärts ermöglichen sollte, ihren Zweck nicht erfüllt. Dieses Vorhaben, das 2006 endgültig beschlossen wurde, schmerzt anscheinend nicht nur mich. Von verschiedenen Seiten hagelt es Proteste, aber auch Alternativvorschläge.:“Wehr wird schrittweise abgerissen(Westdeutsche Zeitung, 2. Januar 2008)“:http://www.wz-newsline.de/sro.php?redid=190538 :“NRW-Verkehrsminister Wittke rechtfertigt Abriss des Denkmals Eifgenbach-Talsperre(FDP Rhein-Berg, 11. Juli 2008)“:http://www.fdp-gl.de/Meldungen/12392c9i1716/index.html :“Gutachter fordert Erhalt der Talsperre(Westdeutsche Zeitung, 22. August 2008)“:http://www.wz-newsline.de/?redid=290110 :“[PDF] Forderung des Rheinischen Mühlendokumentationszentrums(15. August 2008)“:http://www.muehlenverband-rer.de/ws/fileadmin/ws_downloads/Stellungnahme_MVRER_eifgenbach.pdf :“Der Kampf um das Wehr(Rhein-Sieg-Anzeiger, 26. September 2008)“:http://www.rhein-sieg-anzeiger.ksta.de/html/artikel/1218660367177.shtml
Mich persönlich würde es natürlich freuen, wenn man das Wehr nur in der Mitte abtragen würde anstatt es vollständig zu schleifen. Andererseits – mit der blödsinnigen Zerstörung des Hakenkreuzes hat es sowieso schon einen Großteil seines Geschichtswertes verloren.

[:en] Destroyed swastika on the dam

Well, if nowadays right wing extremists smear swastikas on the walls with spray cans, that surely is another matter, but here we have a piece of history after all, a little treasure of modern period archaeology. It is in the nature of things that buildings from the National Socialist era are occasionally furnished with corresponding symbols – but does that have to lead to a crossroads between moral and historical interest? Just because we don’t immediately remove a symbol steeped in history from a building, that doesn’t automatically imply our approval of National Socialism.

As regards that, we Germans live with a totally exaggerated morality and probably a fear of repetition as well. This fear is also being fanned officially: We are continuously being talked into the idea that as Germans, we bear a historical blame, almost like the original sin. An Example: Joschka Fischer’s speech at the 60th anniversary commemoration of the liberation of the concentration camp Sachsenhausen.:“Speech at the 60th anniversary commemoration of the liberation of the concentration camp Sachsenhausen on 17th April, 2005 [German](Joschka Fischer)“:http://www.bundesregierung.de/nn_1514/Content/DE/Bulletin/2001__2005/2005/04/2005-04-17-rede-des-bundesministers-des-auswaertigen-joschka-fischer-auf-der-gedenkfeier-zum-60-ja.html There it says:

The name of our country will forever remain associated with the humanity crime of the Shoa. We Germans can, may and will never abdicate this responsibility.

(…)

This we owe to you and your suffering, and this we owe to the dead and their memory.

To put it clearly: Due to the fact that in the year 1982 I was born in Leverkusen (and not 100 km further to the west in Holland or Belgium), I have automatically incurred partial guilt in a mass murder that has taken place 50 years before my birth. How brazen must my parents have been to put me into a white christening robe despite that knowledge? But joke aside. Like many young Germans, I feel a little pranked at this point. Don’t get me wrong: I am quite of the opinion that we should continue doing explanatory and memory work. Of course we should stay sensitized for the subject, but there is a limit to everything – we can’t possibly be expected to answer for things that our grandparents or even great-grandparents did. The only responsibility we can encumber young Germans with is to prevent a repetition of those happenings.

The general overcaution and oversensitization for the subject of National Socialism is, like Harald Martenstein once aptly declared it, „a German neurosis (…), the theory that there is a Nazi beast in all of us, which might come out at every opportunity, whenever we read anything or print anything or inform ourselves of anything.“:“The Nazi beast in all of us? [German](Harald Martenstein)“:http://www.zeit.de/video/player?videoID=20071112b45198 And apparently that is exactly the way the Eifgen creek swastika-chiseler was thinking. Pity.

Wheelwork of the watergate

Whereas the future of the dam is hanging in the balance anyway: Since 2000 already, the razing of the building has been planned for ecological reasons, among others because the storage space has become marshy already and the fish ladder, which was meant to allow for fish to continue wandering upstream, doesn’t serve its purpose. Apparently I’m not the only one to feel sad about this project, which was conclusively decided in 2006. There has been a storm of protest, but also alternative proposals.:“Dam will be pulled down stepwise [German](Westdeutsche Zeitung, 2 January 2008)“:http://www.wz-newsline.de/sro.php?redid=190538 :“NRW transport minister Wittke warrants pulling down of the monument Eifgen creek dam [German](FDP Rhein-Berg, 11 July 2008)“:http://www.fdp-gl.de/Meldungen/12392c9i1716/index.html :“Expert demands preservation of the dam [German](Westdeutsche Zeitung, 22 August 2008)“:http://www.wz-newsline.de/?redid=290110 :“[PDF] Postulation of the Rhenish mill documentation center [German](15 August 2008)“:http://www.muehlenverband-rer.de/ws/fileadmin/ws_downloads/Stellungnahme_MVRER_eifgenbach.pdf :“The fight for the barrage [German](Rhein-Sieg-Anzeiger, 26 September 2008)“:http://www.rhein-sieg-anzeiger.ksta.de/html/artikel/1218660367177.shtml
Personally, I would be delighted if they would only ablate the dam in the middle instead of completely razing it. But then – with the idiotic destruction of the swastika, it has already lost a large part of its historical value anyway.

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7 Antworten zu “[:de]Geschichte vor der Haustür & die Erbschuld[:en]History on the doorstep & the original guilt[:]”

  1. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem die Brut einst kroch …

    Das Hakenkreuz wurde nicht „einfach so“ entfernt, Erbschuld hin oder her:

    „Aufgeflogen war die fünfköpfige „Kameradschaft“, die sich erst im August dieses Jahres gegründet hatte, als sie einen Zeitungsbericht über das alte Stauwehr im Eifgental samt Fotos für ihre Homepage missbraucht hatte. Das Hakenkreuz aus der NS-Zeit, das am Gemäuer des Wehres angebracht ist, wird in dieser Woche entfernt (wir berichteten). Somit will man verhindern, dass dort eine Pilgerstätte für Neonazis entstehen könnte“ (WZ, http://www.wznewsline.de/sro.php?redid=131183# )

  2. Danke für den aufschlußreichen Kommentar – das ist immerhin eine Erklärung, wenngleich sie mich auch nur wenig überzeugt. Ich persönlich halte es nach wie vor für eine Überreaktion. Nach meinem Empfinden überwiegt der historische Wert diese Befürchtungen um ein Hundertfaches. Für mich war das ein kleiner unwiederbringlicher Schatz, dessen Zerstörung mir im Herzen wehtut, wenn ich es mal so pathetisch ausdrücken darf.

  3. erbschuld……….
    danke das du sagst was soooo viele denken.
    ein zeichen mit einer so vielfältigen geschicht,aus so vielen ländern und epochen zu benutzen um sich mal wieder schlecht zu fühlen und zu entschuldigen,ist echt zum kotzen.
    ich bin froh das es menschen wie dich gibt !!

  4. Hui , solch schöne Flecken gibt es bei dir …und ich dachte das Highlight wäre die Aral Tanke *g

    Naja, aber zum Thema : Ich denke auch, das es ein wenig übertrieben ist dieses Kreuz zu entfernen mit der Begründung dort könnte eine Pilgerstätte entstehen. Die Leute die einen solch ruhigen Fleck als solches missbrauchen wollen , könnten genauso gut ihre Symbole mitbringen und sich an der Aura dieser Gemäuer ergötzen…

    Nunja, aber so sieht jeder solch Taten aus einer anderen Perspektive.

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