Schick mich in den Kongo!


Als ich neulich mal Nachrichten guckte, fiel mir auf, daß die Nachrichtensprecher andauernd von „dem Jemen“ reden und davon, wie es „im Jemen“ aussieht und was „der Jemen“ gerade so macht. Und ich fragte mich: Wieso heißt es plötzlich „der Jemen“, mit Artikel? Ich erinnere mich, daß es früher immer einfach nur „Jemen“ hieß. Damals gab es noch Hungersnöte „in Jemen“ und nicht „im Jemen“, und die Außenkorrespondenten sind „nach Jemen“ gereist und nicht „in den Jemen“.
Genau das gleiche Spiel finden wir auch bei „Iran“ und „Irak“: Als ich noch ein Kind war, so vor etwa 20 Jahren, standen die beiden Länder noch ohne Artikel, und der Golfkrieg tobte zwischen Iran und Irak, nicht zwischen „dem Iran“ und „dem Irak“. Wie kann sich so etwas einfach ändern, und was davon ist denn nun richtig oder falsch?

Was meint der Zwiebelfisch?

Wie zu fast jedem nur erdenklichen deutschen Sprachproblem hat sich auch hierzu bereits Bastian Sick in einem Artikel ausgelassen. Seltsamerweise hat Herr Sick im Gegensatz zu mir offensichtlich den Eindruck, daß die Artikel vor den Ländernamen weniger werden anstatt mehr. Aber wie dem auch sei, hier erfahren wir immerhin schon mal die Grundregeln für den Artikelgebrauch bei Ländernamen:

  • sächliche Ländernamen stehen ohne Artikel (z. B. Deutschland, Österreich)
  • männliche und weibliche Ländernamen stehen mit Artikel (z. B. die Schweiz, der Vatikan)
  • Ländernamen im Plural stehen mit Artikel (z. B. die Vereinigten Staaten, die Niederlande)
  • Ländernamen, die ein Adjektiv beinhalten, stehen mit Artikel (z. B. das Vereinigte Königreich)

Um herauszufinden, ob es nun „Jemen“ oder „der Jemen“, „Irak“ oder „der Irak“ heißt, muß man also das genaue Geschlecht dieser Ländernamen ermitteln. Sick macht es sich an dieser Stelle etwas einfach und sagt, daß die Geschlechter in diesen Fällen variabel gebraucht werden dürfen. Wenn man die Ländernamen männlich gebrauchen wolle, müsse man eben den Artikel voranstellen, während man sie bei einem sächlichen Gebrauch weglassen müsse. Er geht sogar so weit, den Vatikan mit in die Liste der Länder aufzunehmen, deren Namen sowohl Maskulinum als auch Neutrum sein können. Wirklich?! Lebt der Papst wirklich „in Vatikan“? Und pilgern Christen wirklich „nach Vatikan“? Existiert es wirklich, „das sagenumwobene Vatikan“? Ich glaube nicht.

Von offizieller Seite …

Wenden wir uns einer zuverlässigeren Quelle zu. Wenden wir uns an einen, der es einfach wissen muß: den Ständigen Ausschuß für geographische Namen (StAGN). Der hat eine Liste der Staatennamen (PDF) verfaßt, und wenn man da unter „Iran“ und „Irak“ nachsieht, erfährt man, daß diese Ländernamen offiziell in Deutschland niemals männlich sein können. Es wird zwar vermerkt, daß der männliche Gebrauch in der Schweiz vorkommt, aber gleichzeitig wird in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß sie in Deutschland in amtlichen Schriftstücken sächlich, also ohne Artikel, gebraucht werden sollen. Auch erfahren wir hier, daß der Vatikan offiziell immer männlich ist und nicht, wie Herr Sick behauptet, auch sächlich gebraucht werden darf.

Das Auswärtige Amt formuliert es ähnlich, wenn auch nicht ganz so genau. In seinem Verzeichnis der Staatennamen für den amtlichen Gebrauch (PDF) heißt es:

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden einige Staatsbezeichnungen sowohl mit als auch ohne Artikel verwendet. Es ist jedoch darauf zu achten, dass sie in amtlichen Schriftstücken ohne Artikel erscheinen und als Neutra verwendet werden, also z. B.: „die Hauptstadt Iraks“ oder „…von Irak“.

Im Grunde gibt es wirklich nur einen einzigen männlichen Ländernamen, und das ist der Vatikan. All die übrigen Zweifelsfälle, die mal mit und mal ohne Artikel gebraucht werden, sind eigentlich sächlich. Hier ist eine Liste der doppelgeschlechtlichen Kandidaten:

  • Irak
  • Iran
  • Jemen
  • Oman
  • Kongo
  • Kosovo
  • Libanon
  • Niger
  • Senegal
  • Sudan
  • Tschad

An den fettgeschriebenen Namen läßt sich erahnen, wie das ganze Geschlechterchaos eigentlich entstanden ist: Diese sind nämlich gleichzeitig auch noch die Namen bestimmter geographischer Einheiten, die mit dem gleichnamigen Staat eigentlich nichts zu tun haben. So sind Kongo, Niger und Senegal Flüsse, Libanon ist ein Gebirge, und (noch einmal) Kongo, Sudan und Tschad bezeichnen geographische Regionen, die nicht deckungsgleich mit den entsprechenden Staaten sind. Wenn man nun die Staaten ansprechen will, muß man das Neutrum verwenden und den Artikel weglassen. Bezieht man sich aber auf die Flüsse, Gebirge oder Regionen, so muß man den Artikel setzen.

Wir wollen dies zur Verdeutlichung einmal spaßeshalber am Beispiel des Genesis-Songs „Congo“ durchexerzieren: In diesem Lied heißt es „Send me to the Congo“, also „Schick mich zum Kongo“. Hier kann nur der Fluß Kongo gemeint sein, da ein Artikel gebraucht wurde. Wäre der Staat Kongo gemeint gewesen, dann hätte der Liedtext „Send me to Congo“, also „Schick mich nach Kongo“ lauten müssen.

Wen interessiert das eigentlich?

Eine berechtigte Frage. Den meisten ist es entweder völlig egal, ob die Ländernamen mit oder ohne Artikel gebraucht werden, oder aber sie verwenden einfach die Variante, die sie „nach ihrem Sprachgefühl“ als richtig empfinden. Letzteres erfolgt meist recht beliebig: in einem Satz „der Irak“ und im nächsten dann wieder nur „Iran“ ohne Artikel; frei nach Schnauze eben.
Bei der deutschen Wikipedia gab es 2010 ein Meinungsbild über die Frage, ob man eine einheitliche Regelung für deutsche Wikipedia-Artikel schaffen sollte. Es wurde jedoch mit einer großen Mehrheit von 85,5 % abgelehnt, weil die meisten Nutzer eine solche Regelung für stark übertrieben und das Meinungsbild für einen Fall von Regulierungswahn hielten. Außerdem sei die Wikipedia nicht „berechtigt“, Sprachregeln festzulegen – dies sei eher die Aufgabe des Duden.
Dieser wiederum hält sich an das Motto: „Sprache ist lebendig, und die Regeln müssen der Sprache folgen, nicht umgekehrt.“ Laut Duden sind für die fraglichen Ländernamen nämlich sowohl Neutrum als auch Maskulinum erlaubt.
Und so kommt es, daß der Gebrauch von Artikeln bei Ländernamen überall, auch in den Medien, unterschiedlich gehandhabt wird.

Fazit

Offiziell stehen alle oben aufgelisteten Ländernamen immer ohne Artikel. Die fettgeschriebenen Begriffe dürfen nur dann mit männlichem Artikel genutzt werden, wenn von einem Fluß, einem Gebirge oder einer Region die Rede ist. Inoffiziell dagegen … jeder nach seiner Façon! ;)


4 Antworten zu “Schick mich in den Kongo!”

  1. Als alten Afrikanisten hast du mich mit der Überschrift angelockt und an der Nase herumgeführt!

    Aber als Sprachliebhaber interessiere ich mich natürlich auch für diese Frage. Ich meine, in einem der Sick-Bücher mal gelesen zu haben, dass auch er die in offiziellen Dokumenten verwendete Schreibung empfehlen würde. *grübel*

    Im übrigen wundere ich mich über deine Feststellung, dass der Gebrauch von Artikeln zunehmen würde. Ich hatte auch den Eindruck, dass er eher abnimmt und man schon seit einiger Zeit „in Irak“ etc. schreibt. :)

  2. Ja, seltsam … Vielleicht schalte ich ja immer ausgerechnet zu den Nachrichten ein, wo sie es entgegen dem Trend machen! ;)

    Aber schau Dir mal die entsprechenden Artikel auf Wikipedia an – auch da heißt es überall „der Jemen“, „der Irak“ usw. Also, da geht der Trend doch in die Richtung, wie ich sie empfinde. :D

  3. Ach, die bei Wikipedia hängen nur immer hinterher, was meines Erachtens an der Philosophie liegt, dass Internetquellen bäh sind, Bücher usw. aber supder duper gut.

    In dem Zusammenhang finde ich es übrigens witzig, dass der Duden ziemlich oft argumentiert, er bilde lediglich sprachliche Realitäten ab.

    In seiner Funktion festigt er aber auch sprachliche Realitäten, weil ja jeder, der sich verteidigt, zum Duden greift und sagt: «Guck, hier steht’s drin! Neger geht!» (Zum Glück ja seit einiger Zeit nicht mehr so eindeutig.) Für weniger heikle Themen gilt das sicher auch.

    Ich glaub‘, ich geh‘ mal fix zu Erna’s Supermarkt und kauf‘ mir Abendessen. :D

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