Ein kleiner Schritt für die Literatur – ein großer Schritt fürs Ego!


Meine Urkunde
Meine Urkunde

Heute Abend war ich auf der Preisverleihung des siebten Kölner Kurzgeschichten-Wettbewerbs, der jährlich von der Fachschaft Germanistik der Uni Köln veranstaltet wird und an dem ich einfach mal aus Spaß teilgenommen hatte. Nachdem ich mir wochenlang immer wieder Gedanken gemacht hatte, wovon meine Geschichte im Groben handeln sollte, tippte ich sie innerhalb von zwei Tagen auf den letzten Drücker runter, um sie noch rechtzeitig zum Einsendeschluß am 14. Juni per E-Mail einreichen zu können.

Große Hoffnungen hatte ich mir nicht gemacht – eigentlich gar keine. Umso überraschter war ich daher, als plötzlich mein Name fiel: Von über vierzig Einsendungen habe ich immerhin einen Platz in den Top Ten ergattert. Wirklich gefeiert und vorgelesen wurden zwar nur die ersten fünf Geschichten, aber weitere fünf, zu denen dann auch meine gehörte, wurden mit einer kleinen Urkunde und einem Buch prämiert. (Eine feste Platzverteilung gab es dabei nicht mehr – man könnte es also auch als einen geteilten sechsten Platz bezeichnen. Das klingt noch besser. ;) )

Und für diejenigen, die es interessiert, hier noch meine Geschichte. Das Thema des Wettbewerbs lautete übrigens „Baustelle“.

Der Umbau

»Moin, Udo! Da bist du ja endlich!« Axel Brämer, der gerade seine Werkzeuge sortierte, stand auf und ging auf Udo zu, um ihm die Hand zu schütteln. »Haben schon gedacht, du kämst gar nicht mehr. Noch zwei Minuten und wir wär’n nach Hause gegangen. So haben wir das damals in der Schule auch immer gemacht: Wenn der Lehrer nach fünfzehn Minuten nicht kam, sind wir gegangen.«
»Ja, und genau deswegen bist du jetzt auch hier«, lachte Udo Heidmann, während er das restliche Team mit einem kurzen Wink begrüßte. »Wärst du mal lieber ein bisschen öfter beim Unterricht erschienen, dann hättest du es vielleicht zu was gebracht.«
»Oh ja«, sagte Axel mit verträumtem Blick. »Weißt du, meine Mutti wollte immer, dass ich Zahnarzt werde und meine eigene Praxis eröffne.«
Jetzt lachten beide. Udo mochte Axel. Sie arbeiteten schon lange zusammen. Axel war zwar mehr als zehn Jahre älter als er selbst, aber sie waren ein eingespieltes Team, und über die Jahre waren sie fast so etwas wie Freunde geworden.
»So, Leute«, sagte Axel, indem er die Kollegen heranwinkte. »Udo leitet die erste Phase. Lauschen wir seinen Anweisungen!«
Udo zog ein Klemmbrett unter seinem Arm hervor und warf einen Blick darauf. Nachdem er die Skizzen und Fotos sowie einige handgeschriebene Notizen überflogen hatte, erläuterte er den groben Ablauf und verteilte verschiedene Aufgaben. Die anderen begannen mit den Vorbereitungen, legten die nötigen Werkzeuge bereit und mischten den Zement an. Udo zog sich kurz zurück, um seine Arbeitskleidung anzulegen und ein paar Handschuhe überzustreifen.
»So, Männer, dann wollen wir mal!« rief er aufmunternd in die Runde, als er zurückkehrte. Nachdem alle ihren Kopf- sowie Mundschutz angelegt hatten, begannen sie mit der Arbeit. Es wurde gebohrt und geschraubt, geschmirgelt und geschleift, geklebt und zementiert. Sie kamen gut und schnell voran.
Zwischendurch fragte Udo: »Sag mal, weißt du eigentlich Genaueres über unsere Klientin?«
»Wieso, gefällt sie dir etwa?« frotzelte Axel.
»Ach was, nur so aus Interesse.«
»Naja, also die Dame heißt …« Axel überlegte kurz, aber er konnte sich beim besten Willen nicht mehr an den Namen erinnern. Dabei war er doch gerade erst gestern eine ganze Stunde lang mit ihr zusammen noch einmal alles durchgegangen. Er linste auf sein Klemmbrett. »Bettina Gleisner«, fuhr er fort. »Schien mir ganz nett zu sein. Arbeitet als Hausverwalterin. Hat drei oder vier große Häuser hier in der Stadt.«
Udo pfiff anerkennend. »Nicht schlecht. Wie bist du denn an die rangekommen?«
Axel lachte. »Die kam ganz von allein. Weißt du noch, diese Kundin, die wir vor ein paar Monaten hatten? Diese Maklerin, die so begeistert war von den Verblendungen, die du bei ihr angebracht hast. Wie hieß die noch …«
»Hermanns, glaube ich.«
»Ja, genau. Also, die ist mit Frau Gleisner befreundet und hat uns weiterempfohlen. – Da müssen wir übrigens dran denken, dass wir Frau Hermanns dafür bei ihrem nächsten Auftrag möglicherweise einen kleinen Bonus gewähren.«
»Bei ihrem nächsten Aufrag?« fragte Udo überrascht. »Hat sie denn noch mehr Arbeit für uns?«
»Oh ja!« nickte Axel. »Die Frau hat noch große Pläne, sage ich dir!«
Die beiden wandten sich wieder ihrer Arbeit zu. Nur noch wenige Handgriffe trennten Udo von seiner Mittagspause. Danach würden die Übrigen hier allein weiterarbeiten, während er sich einem anderen Klienten zu widmen hatte. Er ließ noch einen letzten prüfenden Blick über seine Arbeit schweifen und fand alles zu seiner Zufriedenheit vor. Alle Schrauben saßen fest, alle Oberflächen waren glatt und nahtlos; der Zement musste zwar noch ein paar Stunden aushärten, sah aber bereits jetzt tadellos aus. Udo zog seine Handschuhe aus und wandte sich an Axel: »So, mein Werk hier ist vollbracht, der Rest liegt bei dir. Ich hab’ jetzt noch einen Kunden.«
»Alles klar, Udo. Mach’s gut. Bis spätestens morgen dann.«
Udo verabschiedete sich mit einem Wink seiner Hand, drehte sich um und ging. Nach einer kurzen Pause wurde die Arbeit unter Axels Leitung fortgesetzt. Er teilte das Team neu ein und erklärte in knappen Sätzen die geplante Vorgehensweise. Eigentlich wäre das nicht einmal nötig gewesen – das alles war reine Routine. Bald war der Raum wieder vom Klang der unterschiedlichsten Werkzeuge und Tätigkeiten erfüllt. Es wurde geschnitten und gesägt, gefeilt und geraspelt, gemeißelt und gehobelt. Die Zeit verging wie im Flug.
Als alles fertig und Axel mit dem Ergebnis zufrieden war, bedankte er sich bei seinen Kollegen für die gute Arbeit und entließ sie in den Feierabend. Er entledigte sich seiner Arbeitskleidung und griff dann zu seinem Klemmbrett, um die Ergebnisse des heutigen Tages zu notieren. Anschließend machte er sich auf den Heimweg.
Am nächsten Morgen gegen neun Uhr klopfte er an Udos Bürotür und trat sofort ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Morgen, Axel«, begrüßte ihn Udo und nahm einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse. »Ich muss noch eben eine E-Mail zu Ende schreiben, dann können wir sofort los.«
»Ach, ruhig Blut«, sagte Axel. »Nur keinen Stress am frühen Morgen.«
Wenige Minuten später liefen sie nebeneinander den Korridor hinab, an zahlreichen Türen vorbei. Sie bestiegen einen Aufzug, fuhren in den ersten Stock und wanderten dann abermals an etlichen Türen vorbei. Vor Zimmer 171 machten sie schließlich Halt. Sie klopften an und traten ein. Drinnen erwartete sie eine zierliche, erschöpft wirkende Person. Sie trug einen Verband um die Nase, und in ihren Nasenlöchern steckten Tamponaden. Sie musste bis gerade geschlafen haben, denn sie hatte noch Mühe, ihre Augen richtig zu öffnen.
»Guten Morgen, Frau Gleisner!« rief Axel ihr zu. »Wir sind gekommen, um mal nach Ihnen zu sehen. Mich kennen Sie ja bereits – darf ich Ihnen vorstellen, das ist Doktor Udo Heidmann, der sich gestern an Ihren Zähnen vergriffen hat. Mindestens die Hälfte der Schmerzen, die Sie jetzt haben, gehen auf sein Konto!« Axel lachte, und auch Frau Gleisner versuchte ein Lächeln, das aber sogleich einer schmerzverzerrten Grimasse wich.
»Sie sollten in den ersten paar Tagen lieber nicht lachen oder zuviel sprechen«, schlug Udo vor. »Auch das Essen wird Ihnen wahrscheinlich schwer fallen, trotz des provisorischen Zahnersatzes, den ich Ihnen eingesetzt habe. Aber wie heißt es doch? ›Wer schön sein will, muss leiden!‹«
Frau Gleisner nickte. »Ich halt’ das schon aus.«
Axel und Udo überzeugten sich kurz, dass mit Frau Gleisners Nase und Zähnen alles in Ordnung war.
»Sieht alles soweit gut aus, Frau Gleisner«, sagte Axel.
»Kann ich mich denn jetzt auch mal sehen?« fragte sie.
»Ach, das haben Sie noch gar nicht? Na, dann kommen Sie, hier am Waschbecken hängt ja ein Spiegel.«
Frau Gleisner stand vorsichtig auf und tapste langsam in Richtung Waschbecken. Als sie sich im Spiegel erblickte, erschrak sie. Ihr halbes Gesicht – die Wangen, die Augen – waren blutunterlaufen und dunkelrot geschwollen. Sie sah wirklich furchtbar aus. Sie sah aus als hätte jemand sie erbarmungslos verprügelt.
Axel, der ihr den Schock ansah, beruhigte sie: »Keine Sorge, Frau Gleisner. Das ist ganz normal so. Das verschwindet im Laufe von ein bis zwei Wochen. Bei Ihnen verläuft bisher alles wie gewünscht.«
Die beiden Doktoren verabschiedeten sich und verließen das Zimmer.
Bettina Gleisner musterte sich noch einen Augenblick lang im Spiegel.
»Jetzt bin ich keine Gesichtsbaustelle mehr«, dachte sie, »sondern eine Gesichts‑Großbaustelle.«


4 Antworten zu “Ein kleiner Schritt für die Literatur – ein großer Schritt fürs Ego!”

  1. Glückwunsch Ginchen zu deinem Erfolg beim Wettbewerb!
    Die Wende in deiner Geschichte finde ich sehr geschickt. Irgendwie sehr plötzlich, aber die Überraschung tritt nicht in den Vordergrund. So bleibt es eine nüchterne Beschreibung und wirkt sehr realistisch auf mich. Könnte man durchaus als Einführung für eine Debatte über Schönheits-Ideale heranziehen.
    schöne Grüße

  2. Ja, so etwas in der Art dachte ich mir auch. ;) Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich auf die Idee kam, das Thema „Baustelle“ mit Schönheits-OPs zu verbinden, aber ich glaube, es war, weil ich auf RTL2 diese tolle neue Serie „Extrem schön“ gesehen hatte. :D

  3. Oh, vielen Dank für das Lob! :)

    Naja, ich hatte mich damals gegen ein Gästebuch entschieden, weil da oft ja doch nur irgendwelcher nichtssagender Quatsch reingepostet wird. ;)
    Seitdem habe ich nicht mehr darüber nachgedacht, und nach über einem Jahr bist Du nun der erste, der so etwas vermißt – ich kann es mir ja nochmal überlegen. ;)

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